Samson Young

situated listening

Samson Youngs ästhetisch kraftvollen und wissenschaftlich präzisen Werke, mit historischen und sozialen Bezügen und Konflikten, bewegen sich an der Schnittstelle zwischen Philosophie, Literatur, Performance und der jüngeren Geschichte der audiovisuellen Konvergenz. Young komponiert multidisziplinäre Räume, die zwischen Klang und Bild oszillieren. Seine Ausstellung in der Kestner Gesellschaft besteht aus zwei Mehrkanal-Ton- und Videoinstallationen und 3D-Skulpturen, die das Phänomen des sogenannten "situierten Zuhörens" untersuchen.  

The Travelers and the Listeners (installation version), 2023, (Halle 1), ist eine Collage aus sechs musikalischen Filmen, die anhand Walter de la Mares Kurzgedicht The Listeners (1912) strukturiert wurden. Dabei thematisiert Samson Young nicht nur die Figur des Travelers, der mit einer Dringlichkeit an die Tür klopft, sondern bezieht sich speziell auf das nicht Greifbare, das Unerwiderte und doch Aufmerksame, das hinter der Tür steht. Hierzu bemerkt die Dichterin Angela Leighton:

„[Walter de la Mares The Listeners] stellt die entscheidende Frage über Poesie im Allgemeinen: Wer hört zu, und was bedeutet es, der Stille des Gedichts auf der Seite zuzuhören, einer Stille, die immer noch darum bittet, geäußert zu werden [...] Das Hören von Dingen in diesem Haus der Poesie kann zu Geistern und Phantomen führen, oder zu dem einprägsamen Rhythmus dringender Klopfzeichen, oder vielleicht einfach zu jenen offenen, unbeantworteten Fragen, die ursprünglich unsere eigenen waren, aber durch die gastfreundliche akustische Offenheit des Gedichts vergrößert zu uns zurückkehren.“

In Youngs Werk werden durch die fotografischen Negativaufnahmen Geister und Phantome hervorgerufen, welche die Spuren des Unbewussten, die privaten und gesellschaftlichen unterdrückten Bilder beschwören. Ein gespenstisches Negativbild erzeugt zusammen mit dem Akt des Zuhörens ein doppeltes Nicht-Sein: Eine verborgene Stille.

Die Klang- und Videoinstallation Variations of 96 Chords in Space (feat. William Lane), 2023 (Halle 4), präsentiert ein Farb-Ton-Handlungs-Schema, welches aus 96 Farben besteht. Jede Farbe wird in einen Akkord umgewandelt. Eine Software setzt die Aufnahmen dieser Vorgänge in endlosen Kombinationen, größtenteils systematisch, teils willkürlich nach der Logik der analogen und komplementären Farben neu zusammen. Das Schema, das dem Werk zugrunde liegt, ist logisch in der Methode und transparent in der Mechanik. Für den oder die Betrachter*in mag es jedoch wie ein Glaubenssystem wirken, das in einem Ritual umgesetzt wird.

„Es gibt kein Treffen des Geistes auf halbem Wege zu semantikfreien Daten, keinen Quellcode der Wahrnehmung, zu dem wir zurückkehren könnten, sondern nur die unmögliche Suche nach einer Annäherung an das kartesische Theater des Anderen.“– Samson Young

Beide Werke sind Teil eines langen Prozesses. Bereits die Aufnahmen der Interaktionen wurden systematisch und kartographisch von Young geplant. In unseren Hallen zeigen wir Symphonien in Raum und Zeit.

Samson Young, 1979 in Hongkong geboren, arbeitet multidisziplinär mit Sound, Performance, Video und Installation. Er studierte Musik, Philosophie und Gender Studies und promovierte 2007 in Music Composition an der Princeton University, NJ. Im Jahr 2017 vertrat er Hongkong mit einem Soloprojekt mit dem Titel Songs for Disaster Relief auf der 57. Venedig Biennale. Young lebt und arbeitet in Hongkong.

Kuratoren: Adam Budak, Robert Knoke