Ausstellung
Paula Rego.
There and Back Again
30. Okt. 2022 - 29. Jan. 2023
„Ich bin daran interessiert, die Dinge aus der Perspektive des Underdogs zu sehen. Normalerweise ist das eine weibliche Perspektive“, sagte die portugiesisch-britische Künstlerin Paula Rego (1935-2022), Grande Dame einer kompromisslosen Vision, eine wahrhaft zärtliche Erzählerin für unsere komplexe Zeit der psychischen und physischen Ängste und eine unvergleichliche Geschichtenerzählerin, die als feministische Ikone gefeiert wird. In ihrem bahnbrechenden Werk setzte sie sich mit Macht- und Kontrollsystemen, Faschismus, Frauenrechten, Abtreibung und menschlichen Tragödien auseinander, machte die Unterrepräsentierten sichtbar, kämpfte gegen politische Ungerechtigkeiten und definierte gleichzeitig malerische Traditionen neu. Die Themen Gewalt, Armut, politische Tyrannei, Geschlechterdiskriminierung und Trauer standen im Mittelpunkt ihres anspruchsvollen Werks. Die Kunst von Paula Rego, die mutig die politischen Mythen infrage stellt und auf subtile Weise, wenn auch mit brutaler Ehrlichkeit und Würde, die menschlichen Beziehungen untersucht, ist aktueller denn je und zeugt von Widerstandsfähigkeit und einer unvergleichlichen subversiven und rebellischen Kraft.
Paula Rego. There and Back Again ist die erste institutionelle Einzelausstellung von Paula Rego in Deutschland und umfasst über 80 Kunstwerke (Gemälde, Zeichnungen, Drucke sowie Kostüme). Der Titel ist dem Ballett Pra lá e pra sá (There and Back Again) entlehnt, das die englische Komponistin Louisa Lasdun 1998 komponierte. Das Ballett wurde in der Calouste-Gulbenkian-Stiftung in Lissabon aufgeführt und wurde von Lasdun inspiriert durch den Anblick von Paula Regos Nursery-Rhymes-Grafiken, für die Rego die Kostüme entwarf.
Traurigerweise starb Paula Rego diesen Sommer im Alter von 87 Jahren. Sie begann vor mindestens 84 Jahren zu zeichnen. Als Einzelkind, das von seiner Familie mit Geschichten bombardiert wurde, die sie liebte, fand Rego ihren eigenen Raum zum Zeichnen. Sie sah viel Freude in der Welt, aber auch viele Ungerechtigkeiten. Letztere bekämpfte sie ihr ganzes Leben lang. Entgegen dem Zeitgeist kam sie nicht in die Versuchung, eine begrenzte, durchgehende Linie des Dissenses zu ziehen. Das war schon viel zu lange der Status quo einer von Männern dominierten Welt. Immer wieder kam sie zu einem Ausgangspunkt des Protests zurück: hin und wieder zurück.
Die Ausstellung Paula Rego. There and Back Again ist als eine Oper über die Conditio humana konzipiert, die in einer Abfolge von Akten inszeniert und durch einen Polylog von Erzählungen dramatisiert wird – von einem Prelude (der Proberaum) über Akt 1 (Rollenspiel und Storytelling), Akt 2 (Konfrontation mit dem Wesen des Menschen) und Akt 3 (Schlachten. Der Triumph des Underdogs) bis hin zum Finale (There and Back Again), in dem Regos meisterhafter Angel von 1989 zu sehen ist. Im Mittelpunkt der Ausstellung steht Regos monumentales Meisterwerk Crivelli’s Garden von 1990, ein kraftvolles antipatriarchalisches Statement einer kunsthistorischen Revision, das außerhalb seines Ursprungsortes, der National Gallery London, noch nie zu sehen war.
Wir danken der Familie von Paula Rego und insbesondere ihrem Sohn Nick Willing für die unschätzbare Unterstützung in jeder Phase der Konzeption dieser Ausstellung. Wir möchten uns bei den zahlreichen Leihgeber*innen für die großzügige Zusammenarbeit bedanken, die zur Realisierung dieser Ausstellung beigetragen hat.
Maria Paula Paiva de Figueiroa Rego wird am 26. Januar 1935 in Lissabon geboren, während der Diktatur des Estado Novo von António de Oliveira Salazar • Ihre Mutter studierte Malerei an der Schule der Schönen Künste in Lissabon; ihr Vater war Elektroingenieur und stammte aus einer antifaschistischen und antiklerikalen Familie • Zwischen 1936 und 1937 wird Rego von ihren geliebten Großeltern väterlicherseits betreut und kommt im Alter von zweieinhalb Jahren wieder mit ihren Eltern zusammen • Rego und ihr Vater teilen die Leidenschaft für italienische Opern von Puccini und Verdi und besuchen gemeinsam Aufführungen im São Carlos Theater in Lissabon • Um der repressiven Herrschaft des Estado Novo zu entkommen, schickt ihr anglophiler Vater Rego auf die Grove Finishing School in Kent; sie wechselt aber nach zwei Schuljahren an die Slade School of Fine Art in London (1952–1956) • Im Alter von 17 Jahren lernt sie dort ihren zukünftigen Ehemann, den Malereistudenten Victor Willing (1928–1988), kennen • 1954 gewinnt sie mit dem Ölgemälde Under Milk Wood den jährlichen Slade-Summer-Composition-Wettbewerb • Zwischen 1956 und 1961 bringt sie ihre drei Kinder zur Welt: Caroline (Cas), Victoria und Nick • 1957 zieht die junge Familie nach Casal da Ribeira da Baleia, in das Bauernhaus der Großeltern in Ericeira • 1961 stellt Rego zum ersten Mal mit der Londoner Gruppe aus, zusammen mit David Hockney, Michael Andrews und Fran Auerbach • 1965 hat sie ihre erste Einzelausstellung in der Modern Art Gallery der Nationalen Gesellschaft der Schönen Künste Lissabon, mit neunzehn Collage-Gemälden • 1972 lässt sich die Familie dauerhaft in London nieder • Die Nelkenrevolution von 1974 beendet die portugiesische Diktatur • 1983 kehrt Rego als Gastdozentin für Malerei nach Slade zurück, nimmt an zahlreichen Ausstellungen teil, u. a. im Arnolfini, Bristol und im Camden Art Centre • Ihre erste Einzelausstellung fand in den USA im Art Palace, New York (1985) statt • 1987 beginnt sie mit Modellen zu arbeiten, vor allem mit Lila Nunes, Willings Studioassistentin und Betreuerin • 1988 stirbt ihr Ehemann Victor Willing, 22 Jahre nach seiner Diagnose Multiple Sklerose • Im selben Jahr veranstaltet Rego eine große Retrospektive in der Calouste Gulbenkian Foundation, die danach in die Casa de Serralves in Porto wandert, und sie hat ihre erste große Einzelausstellung in London in der Serpentine Gallery • Fertigstellung von The Dance und Beginn der Arbeit an der Serie Nursery Rhymes, die von den traditionellen Reimen inspiriert ist, die sie ihrer ersten Großmutter vorgelesen hat • 1990 nimmt Rego die Einladung an, die erste Associate Artist in Residence in der National Gallery in London zu werden; während dieses Aufenthalts entwirft Rego das monumentale Tableau Crivelli’s Garden, das die Meisterwerke der National Gallery neu interpretiert • 1993 zieht sie in ihr letztes Atelier in Camden Town (hier nachgebaut) • Inspiriert durch das Werk des spanischen Barockmalers Bartolomé Esteban Murillo in der Sammlung der Dulwich Picture Gallery, malt Rego Angel (1998), ein rächendes Symbol der weiblichen Stärke • Zur gleichen Zeit, nachdem ein Referendum in Portugal aufgrund der geringen Wahlbeteiligung zur Legalisierung der Abtreibung gescheitert ist, beginnt Rego mit der Arbeit an einer Serie großer Pastelle zu diesem Thema • Ihre Bilder werden anschließend in der portugiesischen Presse verwendet, um das zweite Referendum im Jahr 2007 zu unterstützen, das zur Legalisierung der Abtreibung führt • Ebenfalls 1998 entwirft Rego Kostüme für There and Back Again, ein Ballett, das von ihrer Nursery-Rhymes-Serie für die Spielzeit 1998/1999 der Calouste Gulbenkian Foundation inspiriert ist • 2007 findet eine große Retrospektive ihrer Arbeiten im Museo Nacional Centro de Arte Reina Sofia in Madrid statt, die im darauffolgenden Jahr in das National Museum of Women in the Arts in Washington, DC wandert • Im selben Jahr durchlebt Rego eine schwierige Zeit der Depression, in der sie eine Serie von zwölf Pastellen zu diesem Thema anfertigt, die zehn Jahre lang in einer Schublade im Atelier der Künstlerin verschlossen bleiben • 2009 wird in Cascais, Portugal das von dem Architekten Eduardo Souto de Moura entworfene Museum Casa das Histórias Paula Rego eröffnet; es beherbergt eine ständige Sammlung von Regos Werken sowie Wechselausstellungen • Einen intimen Einblick in ihr Leben und ihre Arbeit bietet Paula Rego in Secrets and Stories, einem Dokumentarfilm unter der Regie ihres Sohnes Nick Willing, der von der BBC ausgestrahlt wird • Eine große Retrospektive wird von der Tate Britain veranstaltet (2021) und wandert ins Kunstmuseum Den Haag und ins Museo Picasso Málaga • Paula Rego stirbt am 8. Juni 2022 in Hampstead, London.
Kuratoren: Adam Budak, Alistair Hicks
Architektur: Mesarchitecture (Didier Fiúza Faustino)
Kuratorische Assistenz: Robert Knoke
Erfahren Sie mehr über Paula Rego im Handout zur Ausstellung.