Eine Enzyklopädie des Zarten
Vortrag von Anne Brannys

„Eine Enzyklopädie des Zarten“ – wie passen das Eine und das Andere zusammen?
Schließlich steht das Zarte doch dem Diffusen, dem Vagen, dem Schwer-Greifbaren nahe und impliziert damit eher eine Auflösung von Ordnungen. Bei genauerer Betrachtung erweist sich diese Kombination jedoch als gar nicht so widersprüchlich. Denn wenn wir Wissensordnungen wie die Enzyklopädie als relationale Ordnungen von Informationen begreifen, die ein System aus sich heraus bilden, bedeutet das auch, dass diese damit den eigenen inhärenten Schwankungen unterlegen sind, dass sie von sich selbst in Frage gestellt werden müssen und sich beständig neu ordnen. Enzyklopädien sind also gewissermaßen von sich selbst bedrohte, fragile Konstruktionen, die über eine beständige Rekonfiguration und die Inklusion der eigenen unscharfen Ränder Stabilität erreichen können.
Im Projekt der "Enzyklopädie des Zarten" sind wissenschaftliche und künstlerische Herangehensweisen in jeder Hinsicht miteinander verwoben. Sowohl inhaltlich, gestalterisch als auch methodisch wurde die Arbeit an ihrem Forschungsbegriff entlangtastend konzipiert. Die Autorin versammelt in ihrer Arbeit Alltägliches und Kurioses, Phänomene der Geistes- und Naturwissenschaften ebenso wie künstlerische Werke, um dem Begriff des Zarten nachzuspüren – auch dort, wo man ihn zunächst nicht vermutet. Atem, Erröten, Fleisch, Hasenherz, Rühr-Mich-Nicht-An, Sanftmut, Sollbruchstelle, Zorro; schon die Lemmata lassen die Vernetzung der beschriebenen Gegenstände und Sachverhalte erahnen, die sich auf wundersame und zugleich zwingend folgerichtige Weise zu einem bewegten Ganzen fügen. Literarisch-poetische Annäherungen, sanft-souveräne Betrachtungen und unerwartete Facetten des Zarten. Dieser Streif- und Raubzug durch die Kunst, Literatur und Naturwissenschaft ist eine Entdeckung des Zarten in seiner Vielschichtigkeit von A bis Z.
Für die Kestner Gesellschaft möchte sich Anne Brannys mit der Ausstellung auseinandersetzen, indem sie eine persönliche Auswahl verschiedener Werke mit den Inhalten ihrer Enzyklopädie in ein zärtliches Verhältnis setzt.